THEO H. P. M. THOMASSEN Der Friede von Münster: ein nationales Symbol in säurefreiem Papier |
In beiden Ratifikationsurkunden bestätigt Philipp den münsterschen Friedensvertrag, der - samt den Vollmachten für die Gesandten, die ihn geschlossen hatten - Wort für Wort in die Dokumente inseriert wurde. Das eine Exemplar ist eine französischsprachige Ratifikation der französischen Vertragsausfertigung, das andere eine spanischsprachige der niederländischen Fassung. Dementsprechend werden im spanischen Simancas zwei Ratifikationsurkunden der Generalstaaten aufbewahrt: eine französischsprachige der französischen und eine niederländischsprachige der niederländischen Vertragsfassung. Diese Vereinbarung war getroffen worden, weil keine der beiden Parteien die Sprache der anderen, beide aber französisch sprachen, und es keine spanische Vertragsfassung gab. [1] Beide Urkunden tragen die Unterschrift des Königs und die Kontrasignatur des spanischen Kanzlers Hieronimo de la Torre. Ein massiv goldenes Siegel - auf der einen Seite eine Abbildung des königlichen Wappens mit der Umschrift "Philippus IIII, DG Hispaniarum Rex", die andere Seite glatt - an einer Kordel aus Golddraht bekräftigt die Dokumente.
In der unteren Vitrine steht eine Kassette. Sie ist an der Außenseite mit rotem Samt bezogen und mit Beschlägen und Verzierungen aus Silberdraht versehen. In ihrem mit Leder ausgeschlagenen Inneren liegt eine verschlossene Aktenmappe, die kaum älter als hundert Jahre sein kann. Sie enthält zwei hellblaue, moderne Umschläge aus säurefreiem Papier und einen gelben Umschlag aus den fünfziger Jahren. In letzterem steckt ein Faksimile des Friedensvertrags, das, einer Bleistiftnotiz zufolge, im Oktober 1940 angefertigt wurde und demnach eine symbolische Bedeutung gehabt haben muß. Die beiden Friedensverträge, in welche die Vollmachten der unterzeichnenden Parteien inseriert wurden, befinden sich in einem der anderen Umschläge. Sie wurden am 30. Januar 1648 unterzeichnet und mit den Wappen der Gesandten gesiegelt. Links sehen wir die Unterschriften und Siegel der spanischen Unterhändler Gaspar de Bracamonte y Guzman, Graf von Peñaranda, und Antoine Brun, rechts die ihrer niederländischen Kollegen: Barthold van Gent van Loenen und Meynerswijk aus dem Gelderland, die Holländer Johan van Mathenesse und Adriaen Pauw, der Seeländer Johan de Knuyt, der Utrechter Godard van Reede van Nederhorst, Frans van Donia aus Friesland, Willem van Ripperda aus der Provinz Overijssel und der Groninger Adriaen Clant.
Die Anordnung der Siegel und Signaturen spiegelt die Hierarchie unter den Vertragspartnern wider. Die Position nach den gekrönten Häuptern und der Republik Venedig, die die Hochmögenden Herren immer gefordert hatten, hatte der spanische König ihnen zwar zuerkannt, doch blieb er natürlich ranghöher und zeichnete somit als erster. Da er auf die Titel Herzog von Geldern, Graf von Holland und Seeland und Herr von Utrecht, Friesland, Overijssel und Groningen endgültig verzichtet hatte, konnten nun die niederländischen Gesandten im Namen der neuen Souveräne dieser Provinzen den Vertrag unterzeichnen. Dabei wurde die interne Rangordnung so peinlich genau beachtet, daß zwischen den Unterschriften von de Knuyt und Donia Raum für Nederhorst, der zunächst nicht unterzeichnen durfte, gelassen wurde. Vor allem auf dem niederländischen Exemplar ist gut zu erkennen, daß Nederhorsts Siegel und Unterschrift erst später, als Utrecht sich mit den Tatsachen abgefunden hatte, in den Zwischenraum eingefügt wurde. [2]
Im zweiten Umschlag befindet sich eine Reihe genauerer Übereinkünfte, die von den spanischen und niederländischen Unterhändlern getroffen wurden. In politischer Hinsicht am wichtigsten ist sicherlich der separate Artikel über den Handel in französischer Sprache mit der zugehörigen "acte obligatoir", in der sich die Spanier verpflichten, den Artikel innerhalb von zwei Monaten in Den Haag zu ratifizieren. In anderen Urkunden werden weitergehende Vereinbarungen bezüglich einzelner Vertragsparagraphen getroffen. Sämtliche Abkommen wurden kurz vor der Ratifikation geschlossen und auf die gleiche Weise bestätigt wie der Vertrag selbst, mit der Einschränkung, daß Unterschrift und Siegel von Johan de Knuyt fehlen, der inzwischen von seinen seeländischen Herren zurückbeordert worden war. Diesen Abkommen schließen sich zwei Erklärungen an: eine bezüglich der Religionsfrage in der Meierij von seiten der niederländischen Gesandten mit einer Empfangsbestätigung ihrer spanischen Kollegen und eine andere, abgegeben von den Spaniern, diejenigen Fürsten betreffend, die nach spanischen Vorstellungen unter den Vertrag fallen mußten.
Darüber hinaus befinden sich im zweiten säurefreien Umschlag noch Urkunden, welche die Formalitäten rund um den Friedensschluß betreffen: die Vollmachten für die Unterhändler zur Beschwörung der Ratifikation - selbstverständlich erteilt von den Generalstaaten -, die Eidesformeln und die Schriftstücke bezüglich der Verkündigung des Vertrags. Bei den letzteren handelt es sich um die originale Verkündigungsurkunde in Niederländisch, eine französischsprachige Kopie der Verkündigung und ein Begleitschreiben der niederländischen Abgesandten an die Hochmögenden Herren. Da ein Vertrag erst dann in Kraft trat, wenn er verlesen und gehört worden war, war es Usus, den Bericht über die Verkündigung der Urkunde zu registrieren oder zu archivieren.
Rituale: die Beschwörung und die Verkündigung des Friedens
Der Friedensvertrag zwischen dem König von Spanien und den Generalstaaten der Vereinigten Niederlande wurde am 15. Mai 1648 von den spanischen und niederländischen Gesandten im Festsaal des münsterschen Rathauses, bei offenen Türen und unter großem öffentlichen Interesse, durch ihren Eid bestätigt. Während die spanische Delegation vollzählig erschienen war, fehlten auf niederländischer Seite Nederhorst und de Knuyt, ersterer wegen Krankheit und letzterer wegen des Widerstandes seiner Auftraggeber gegen die Ratifizierung. Nachdem die Ratifikationen auf französisch verlesen worden waren, folgte der Moment der Beschwörung. Zuerst waren die Spanier an der Reihe. Auf eine große Bibel, die vom Priester der spanischen Gesandtschaft gehalten wurde, hatte man ein silbernes Kreuz gelegt. Hierauf legten die spanischen Bevollmächtigten ihre rechte Hand. Peñaranda las seine Eidesformel auf spanisch vor. In dem Moment in dem er schwor, daß Gott sein Zeuge sein möge, hob er, ebenso wie Brun, die rechte Hand, und sie küßten das Kreuz. Danach las Meynerswijk die Eidesformel für die niederländischen Unterhändler auf französisch vor, und die Worte "ainsi m'aide Dieu" wurden von allen niederländischen Bevollmächtigten gesprochen, wobei sie den Zeige- und Mittelfinger ihrer rechten Hand in die Höhe streckten. [3]
Das Gemälde Gerard ter Borchs, auf dem beide Beeidigungen verewigt worden sind, ist an anderer Stelle Gegenstand einer Analyse [4], doch sei kurz vermerkt, daß die Reihenfolge, in der ter Borch die Gesandten um den Tisch herum plaziert hat, dieselbe ist wie die ihrer Unterschriften unter dem Vertrag und damit die Widerspiegelung einer zwingenden politischen Konvention. Die Tatsache, daß Donia und Ripperda scheinbar in zweiter Reihe stehen, ist dadurch begründet, daß ter Borch Adriaen Pauw an prominente Stelle gesetzt hat. Denn Pauw war nicht nur sein Gönner und Kunde, sondern auch der Vertreter Amsterdams, der mächtigsten Stadt in der mächtigsten Provinz. Und so durfte Pauw, der den Frieden faktisch zustande gebracht hatte, ruhig einen Schritt vortreten, sofern er die festgesetzte Rangordnung nicht zerstörte.
Nach der Beschwörung des Friedens konnten die Ratifikationen mit allen dazugehörenden Dokumenten ausgetauscht werden. Wie bereits beschrieben, lagen die Schriftstücke, die den Niederländern von den spanischen Gesandten übergeben wurden, in der mit rotem Samt bezogenen Kassette mit Silberbeschlag. Auf dem Gemälde steht sie rechts auf dem Tisch, und davor liegt eine der spanischen Ratifikationsurkunden mit Philipps goldenem Großsiegel. Die für den spanischen König bestimmten Dokumente wurden laut den Berichten ebenfalls in einer mit rotem Samt bezogenen Kassette aufbewahrt. Auf dem Gemälde ist sie links auf dem Tisch zu sehen. Darauf liegt eine der Ratifikationsurkunden der Hochmögenden Herren mit dem roten Wachssiegel der Generalstaaten. Während die spanische Kassette die Form einer Schatzkiste hat, gleicht die niederländische eher einer großgeratenen Zigarrendose. Wer es nicht weiß, wird sie bei ter Borch nicht einmal entdecken. [5] Ist das wieder so ein Ausbund holländischer Pfennigfuchserei? Zweifellos, doch die unterschiedliche Ausführung sollte auch formaler Ausdruck der hierarchischen Gegebenheiten sein.
Im Panzerschrank in Den Haag findet sich, wie gesagt, auch eine Verkündigungsurkunde. Verkündigung und Veröffentlichung waren formale Erfordernisse. Keine Urkunde und somit auch kein Friedensvertrag kam ohne mündliches Zeugnis und das mündliche Zeugnis nicht ohne die Erinnerung aus. [6] Der Vertrag war bereits am 15. Mai verlesen worden, doch am Morgen nach der Beschwörung wurde er von den Treppen des münsterschen Rathauses herab noch einmal verkündet. Nacheinander wurden vorgelesen: die niederländische Vertragsausfertigung, die spanische Ratifikation auf spanisch, die Ratifikation der Generalstaaten auf niederländisch, der Separatartikel samt den Ratifikationen und die Verkündigungsurkunde auf französisch. Viele Zuhörer folgten der stundenlangen Verlesung in diesen für sie unverständlichen Sprachen: Die Verantwortlichen waren so klug, das Ereignis mit großem Prunk, beeindruckendem diplomatischen Zeremoniell, prächtiger Dekoration, Musik und öffentlichem Ausschank zu umrahmen. Noch am selben Tag schickten die niederländischen Gesandten die originale Verkündigungsurkunde in niederländischer Sprache und eine Abschrift der Verkündigung auf französisch mit einem Begleitschreiben nach Den Haag. Erstere konnte auf diese Weise schon bei der Zusammenkunft der Generalstaaten am 18. Mai verlesen werden. Die Schriftstücke sollten später zu den Ratifikationsurkunden in die Kassette gelegt werden.
Am 5. Juni 1648 wurde der Vertragstext vor allen Rathäusern der nördlichen und südlichen Niederlande verkündet. Sämtliche Regenten, Flottenoffiziere, hohen Militärangehörigen, Gouverneure, Kommandeure und ausländischen Gesandten wurden über die Beeidung und die Verkündigung informiert. Gedruckte Ausgaben der Publikationsurkunde, des Vertrags in niederländischer und in französischer Sprache mit den Vollmachten für die Gesandten und die Ratifikationsurkunden wurden weltweit unter den Untertanen des Staats verteilt. Unter dem Vorbehalt, daß man ihnen keine Schuld geben könne, wenn der Friedensschluß ein Fehlschlag werde, verkündigten auch die Seeländer den Frieden. [7] Nun waren alle formalen Anforderungen erfüllt.
Die Dokumente aus Münster in Den Haag
Acht Tage später reichte van Meynerswijk schließlich noch ein Gesandtschaftsprotokoll ein, das er nach Rücksprache mit seinen Kollegen erstellt hatte. Dieses Protokoll enthielt den amtlich aufgesetzten und unterzeichneten Bericht über die Beratungen und Beschlüsse der Gesandtschaft mitsamt den Schriftstücken, die sich hierauf bezogen. [9] Das münstersche Exemplar ist ein klassisches Gesandtschaftsprotokoll. Es umfaßt den Zeitraum vom 5. Dezember 1645 bis zum 16. September 1648 und besteht aus drei Teilen, wobei die beiden ersten das eigentliche Protokoll darstellen. [10] Den Anfang bilden, wie üblich, die konstituierenden Urkunden der Gesandtschaft: die Instruktion, die Eidesformel, die vom Kaiser, dem spanischen König und dem Oberbefehlshaber der südniederländischen Truppen ausgestellten Pässe, die Indemnitätsakte (zur Gewährleistung der Straffreiheit), die Vollmachten usw. Danach folgt eine chronologische Übersicht über die Verhandlungen, die in erster Linie der Überleitung zu den zahllosen Schreiben, Memorialschreibwerken und Urkunden dient, die die Unterhändler mit den Generalstaaten und ihren Kollegen in Münster gewechselt haben. Es schließt mit dem Bericht, den sie am 9. September 1648 in der Versammlung der Generalstaaten mündlich erstattet hatten. Im dritten Teil haben die Gesandten Abschriften der relevanten Schriftstücke erstellen lassen, die ihnen übergeben oder zugesandt worden waren.
Der Frieden war nun geschlossen, bekräftigt, beschworen und verkündet worden. Jetzt galt es, ihn auch zu bewahren. Was tat man in der Kanzlei der Generalstaaten mit den Urkunden, die die Gesandten aus Münster mitgebracht hatten? Die Protokollbücher, die vor der Abreise als Retroakten gezogen worden waren, wurden wieder im Gang der Kanzlei auf das erste Regalbrett, neben die anderen Register und Protokolle der Friedens- und Waffenstillstandsverhandlungen mit Spanien und den südlichen Niederlanden und der Friedenskongresse zurückgestellt. Das münstersche Protokoll stellte man dahinter. [11]
Die losen Schriftstücke wurden in einem der Kanzleiräume deponiert. Einige Jahre später wurden sie in einem der beiden Aktenschränke abgelegt, die zur Aufbewahrung solcher Urkunden angefertigt worden waren. Bevor sie hier archiviert wurden, wurden sie zunächst der Länge nach gefaltet, zusammengebunden und beschriftet. Aktenschriftstücke, die nicht in eines der Fächer paßten - aufgrund ungewöhnlichen Formats; bzw. umfangreichere Sammlungen - wurden auf den Dachboden gebracht. Im Gefach Spanien finden wir im Umschlag mit Retroakten ab 1608 Schriftstücke, die von den Gesandten nach Münster mitgenommen und 1648 wieder zurückgebracht wurden. [12]
Das Protokoll wurde kurz nach seiner Übergabe im Archiv der Generalstaaten abgelegt, wo es noch heute aufbewahrt wird. In diesem Archiv befinden sich auch zwei Exemplare, die dort überhaupt nicht hingehören. Eines davon ist das Protokoll, von dem die offizielle Ausfertigung abgeschrieben wurde. Es wurde von Meynerswijk persönlich geführt, und nur ein einziges Mal griff einer seiner Kollegen zur Feder. Zu dieser sechsbändigen Serie, in der auch die Originalschriftstücke zu finden sind, deren Abschriften in das eingereichte Protokoll übernommen wurden, gehören noch fünf Bände mit originalen diplomatischen Noten. Die gesamten elf Aktenbände waren offensichtlich Teil des privaten Archivs von Meynerswijk; sie kamen zu Beginn des 19. Jahrhunderts über eine Auktion in den Besitz des Rijksarchief. [13]
Mindestens ebenso interessant, wenn auch eher formal als inhaltlich, ist eine zweibändige Protokollkopie. [14] Die Handschriften lassen erkennen, daß die beiden Bände von zwei Sekretären aus der Kanzlei der Generalstaaten geschrieben wurden, und zwar von Aernout van Lelienberg, Sekretär für Overijssel, und Ottho Viglius, seit dem 11. August 1648 Sekretär für Friesland. Sie stammen aus dem Umkreis des Lieuwe van Aitzema, der sich im 17. Jahrhundert als Diplomat, Spion, Nachrichtenagent und Historiker betätigte. Lelienberg, ein angeheirateter Cousin Aitzemas, und Viglius, der wie Aitzema Friese war, kopierten für ihn jahrelang, legal oder illegal, offizielle Staatsdokumente aus der Kanzlei der Hochmögenden Herren. Aitzema nutzte sie für seine diplomatischen Aktivitäten: Er war zwischen 1626 und 1669 Resident der Hansestädte in Den Haag. Darüberhinaus verwandte er die Informationen auch für die von ihm betriebene Nachrichtenagentur, welche um1648 hochgestellte Beamte und Diplomaten, die eng an den Verhandlungen beteiligt waren, zu ihren Kunden zählte, darunter einen der Friedensvermittler in Münster, den venetianischen Diplomaten Contarini. [15] Wenn die Abschriften keinen politischen oder journalistischen Zwecken mehr dienen konnten, nutzte Aitzema sie schließlich für sein "Verhael van de Nederlandsche vreedehandeling", das bereits 1650 veröffentlicht wurde, und sein "Saken van staet en oorlogh", das er 1659 im Auftrag Frieslands zu schreiben begann. [16]
Kurz nach dem Tod Aitzemas 1669 wurden drei seiner ehemaligen Schreiber wegen Verrats verurteilt. Sein Archiv, mitsamt dem münsterschen Protokoll, wurde von den Generalstaaten eingezogen und der Kanzlei übergeben. Dort wurde es auf den Dachboden verbannt, wo man die Schriftstücke 1852 wiederfand. [17]
Die Kassette mit den Ratifikationsurkunden schließlich wurde im Geheimaktenschrank deponiert, der 1621 angefertigt worden war und seit 1646 im Sitzungssaal der Hochmögenden Herren stand. Hier wurden die losen Schriftstücke archiviert, die geheim waren oder deren Aufbewahrung für die Generalstaaten von besonderem Interesse war. [18]
Andere Schriftstücke aus Münster im allgemeinen und im Geheimaktenschrank
Die dicksten Bündel waren ursprünglich die beiden sogenannten Münsterschen Liasse. Unter einer Liasse muß man sich ein Stück fester Pappe vorstellen, in dessen Mitte eine Schnur mit einer metallenen Spitze befestigt ist. Hierauf wurden sukzessive jene Schriftstücke gefädelt, die einem bestimmten, auf der Pappe angegebenen Themenbereich zuzuordnen waren. Auf die Münsterschen Liassen fädelte man die Geheimkorrespondenz mit denen, die an den Verhandlungen beteiligt waren, insbesondere die mit den niederländischen Gesandten. Sie wurden eigentlich zu den Schriftstücken der Geheimregistratur gezählt, hingen aber wegen ihres Umfangs über den Schränken mit den allgemeinen Registern und Aktenbänden der Generalstaaten im Zimmer des Kanzleileiters. [20]
Andere Exhibita wurden von der Korrespondenz getrennt und in den Schränken archiviert: vier Berichte und Memoranden, welche die niederländischen Gesandten in den Jahren 1646-1648 ihren Auftraggebern aus Den Haag oder Münster hatten zukommen lassen, eine Reihe von Schriftstücken, die sie 1647 zur Beratung eingebracht hatten, Abschriften der spanischen Friedensvorschläge, festgehalten in zwei Briefen des spanischen Unterhändlers Castel Rodriguo von 1646, und ein Schreiben seines Kollegen Brun an die Generalstaaten aus dem darauffolgenden Jahr. Einige der Nummern aus den Aktenschränken beziehen sich auf die Reise der niederländischen Abgesandten nach Münster, ihren Verbleib dort und auf den Paß, der ihnen vom spanischen König ausgestellt worden war. Den Paß selbst, der soviel Staub aufgewirbelt hatte und der als Kopie an verschiedenen anderen Orten zu finden ist, sehen wir hier als Original zusammen mit einer beglaubigten Abschrift, die das Vidimus des holländischen Gerichtshofs trägt. Die Retroakten reichen zurück bis 1632.
Bemerkenswert sind auch die Schriftstücke aus dem allgemeinen bzw. aus dem Geheimaktenschrank, die aus dem Vorfeld der Verhandlungen stammen, wie zum Beispiel die geheimen Entwürfe für Instruktionen und Vollmachten für die niederländischen Unterhändler und die Vollmachten ihrer spanischen Kollegen von 1645 und 1646, sowie ein Aktenbündel zu der Frage, unter welchen Bedingungen der Waffenstillstand mit Spanien in einen Frieden umgesetzt werden könne. Darüber hinaus befinden sich im Schrank für die allgemeine Registratur die Schriftstücke zu den sogenannten Präliminarien aus den Jahren 1643-1646, den Positionen der einzelnen Provinzen bezüglich Union, Religion und Militär, welche diese vor Verhandlungsbeginn klären wollten.
Die in anderen Umschlägen enthaltenen - meist geheimen - Dokumente spiegeln die Bemühungen der Generalstaaten um die Verhandlungen und ihre Standpunkte zur Frage der römisch-katholischen Religionsausübung in der Meierij 's-Hertogenbosch (1643 und 1647/48), zum Ostsee-Handel (1646) und zu den Ansprüchen auf das geldrische Overkwartier (1646/47) wider. Andere Schriftstücke betreffen das Verhältnis der Generalstaaten zu ihren Unterhändlern während der Verhandlungen mit Frankreich 1647/1648 und zum Prinzen von Oranien 1647 oder sind eng mit der Ratifizierung verbunden: eine Abschrift der Ratifikationsurkunde mit niederländischer Übersetzung, die Memoranden, die der Utrechter Deputierte Nederhorst und die anderen Gesandten miteinander über dessen Weigerung, den Vertrag im Namen Utrechts zu unterzeichnen, getauscht haben, und die Ratifikationen der Provinzen, d.h. die Empfehlungen, die von den Provinzen hinsichtlich der Ratifikation in die Versammlung der Generalstaaten eingebracht wurden.
Der Streit um die Geheimhaltung und die Resolutionen
Aus diesem Grund wurde nicht nur bei losen Einzelstücken, sondern auch bei Serien, besonders bei Serien von Resolutionen, zwischen normal und geheim unterschieden. Die Frage, ob ein Dokument geheim war oder nicht, wurde grosso modo durch den Status der Resolution entschieden, die aufgrund dieses Dokuments getroffen worden war oder deren Folge es war. Und im Archiv der Generalstaaten, wo alle offiziellen Schriftstücke als Anlage zu der einen oder anderen Resolution definiert sind [22], bedeutet dies, daß man den Grund, aus dem ein Dokument als geheim eingestuft und behandelt wurde, in der Regel aus der zugehörigen Resolution ableiten kann.
Die politischen Auseinandersetzungen um Krieg und Frieden der Jahre 1636-1648 waren auch ein Streit um die Verabschiedung und Bekanntgabe der Resolutionen. Wer die außenpolitischen Angelegenheiten regelte, wollte so viel wie möglich geheimhalten und so wenig wie möglich schriftlich festhalten. Die vorübergehende Delegierung von Zuständigkeiten an geheime Kommissionen war dazu ein probates Mittel. Diese unter dem Vorsitz des Statthalters tagenden Geheimausschüsse konnten hochpolitische Entscheidungen im Namen der gesamten Ständevertretung treffen, und ihre Beschlüsse mußten manchmal nicht einmal registriert werden. [23] Wer keinen direkten Einfluß auf die Außenpolitik hatte, forderte politische Kontrolle und somit eine sorgfältige Registrierung und die Veröffentlichung der entsprechenden Resolutionen. Praktisch lief es darauf hinaus, daß die profranzösische Seite unter der Führung des statthalterlichen Hofes und unterstützt vom Ratspensionär von Holland und dem korrupten Kanzleileiter Musch bestrebt war, die Geheimhaltung weitestmöglich auszudehnen. Diejenigen aber, die das Bündnis mit Frankreich eventuell einem Frieden mit Spanien opfern wollten, insbesondere die holländischen Städte mit Amsterdam an der Spitze, versuchten, die Deputierten, welche mit dem Prinzen dem profranzösischen Kurs folgten, unter Kontrolle zu halten, indem sie eine genaue Registrierung und adäquate Bekanntmachung der Resolutionen verlangten.
Die Friedenspartei wurde allmählich stärker. 1636 wurde der Kanzleileiter von den Generalstaaten beauftragt, die Zusammenkünfte im Zimmer des Prinzen zu protokollieren. Im Jahr darauf verschärften die Hochmögenden Herren ihre Kontrolle über die Abfassung der Resolutionen und somit über den Kanzleileiter, indem sie ihre Beschlüsse nicht mehr am Ende, sondern zu Beginn der Sitzung des folgenden Tages resümierten und trafen. [24] 1643 und 1644 banden die meisten Provinzen, allen voran Holland, ihre Deputierten generell an strikte Instruktionen bezüglich Rücksprache und Geheimhaltung. 1646 versuchten die in den Generalstaaten vertretenen Provinzen, ihren Einfluß auf die Beschlußfindung zu vergrößern, indem sie auch Musch an strikte Anweisungen banden. [25] Um ihrem Bestreben Nachdruck zu verleihen, ließen sie kurz darauf den Geheimaktenschrank aus einem der Kanzleiräume in ihren eigenen Sitzungssaal bringen. Und noch im selben Jahr trafen sie eine nähere Vereinbarung über die Art und Weise, wie Resolutionen im geheimen Protokollbuch zu verzeichnen seien. [26]
Die Versammlung der Generalstaaten hat eine große Zahl normaler und geheimer Resolutionen mit Bezug zu den Friedensverhandlungen verabschiedet. Die meisten sind in ein- und demselben Protokollbuch registriert worden, das gewöhnlich "het boek van de handelinge van de vrede tot Munster" oder kurz "het register van de vredehandel" genannt wurde. [27] Dieses Register ist für die Forschung von großem praktischen Wert. Es enthält nicht nur beinahe alle Resolutionen, die die Hochmögenden Herren in den Jahren 1643-1649 in Zusammenhang mit den Friedensverhandlungen beschlossen haben, sondern auch die zugehörigen Objekte. Die meisten Urkunden, Resolutionen und Exhibita, die Teil dieses Archivs sind, wurden hier in Abschrift registriert. Dazu gehören auch die Originalurkunden, Exhibita und revidierten Konzepte der ausgehenden Schriftstücke, die sich im allgemeinen und im geheimen Aktenschrank und den dort deponierten Aktenpaketen befinden. Das Register besteht aus vier Bänden, die den Zeitraum 1634-1649 umfassen. [28]
Zunächst wurde dieses separate Register parallel zu dem normalen und dem geheimen Register geführt, doch ab dem 20. Juni 1644 finden sich im "register van de handeling" immer mehr Resolutionen, die nur dort registriert worden sind. In den Monaten Januar bis einschließlich April 1648 sind die revidierten Konzepte aller münsterschen Resolutionen ausschließlich hier eingetragen worden.
Das "register van de handeling" beginnt übrigens nicht mit den Resolutionen von 1643, sondern mit denen von 1634, denn man schrieb rückwirkend auch die Resolutionen aus den Jahren 1634-1643 und die begleitenden Schriftstücke ein. Für diesen Zeitraum ist das "register van de vredehandel" nicht völlig, aber doch beinahe komplett.
Strukturveränderungen und Bedeutungsverlust zur Zeit des ancien régime
Dies ist nicht vollständig gelungen. Relativ unangetastet blieben die physische Erscheinungsform, die redaktionelle Form und die Legitimationsmittel. Weniger unverfälscht wurde die Struktur, das heißt die Integrität des Archivs als Ganzes und die innere Gliederung einiger seiner Bestandteile, bewahrt. Vor allem der physische Kontext, das "Verpackungsmaterial", das den Dokumenten Bedeutung verleihen sollte, wurde zerstört.
Die erste Störung war die Umstrukturierung der regulären Resolutionsserien aus den Jahren 1637-1651. Cornelis de Heijde, Archivar der Generalstaaten, bekam 1662 den Auftrag, die vor 1651 verabschiedeten Resolutionen zu indizieren und zu binden. Er ordnete sie deswegen neu und paßte ihre ursprüngliche Struktur der von nach 1651 an. Sämtliche geheimen, revidierten Resolutionskonzepte der Versammlung der Generalstaaten wurden von ihm, ungeachtet der Tatsache, ob sie sich in der allgemeinen Registratur, im Geheimaktenschrank oder sonstwo befanden, zu einer chronologischen Serie zusammengefaßt. Wenn normale und geheime revidierte Konzepte auf einem Blatt standen, was häufig vorkam, machte er davon Kopien. Soweit er sie noch finden konnte, integrierte er auch die Resolutionen der Geheimausschüsse, unter denen sich unter anderem solche befanden, die Kanzleileiter Musch - manchmal entgegen expliziter Anweisungen - nicht im Geheimregister verzeichnet hatte. Es kann sich dabei sowohl um Einzelresolutionen als auch um umfangreichere Sammlungen längerfristig tagender Geheimausschüsse handeln, wie zum Beispiel die revidierten Konzepte der Kommission, die 1645 die Instruktionen für die Gesandten nach Münster erarbeiten mußte.
Außer dieser Serie von Resolutionskonzepten legte de Heijde auch Kreuzregister mit geheimen Resolutionen an, indem er lose Abschriftensammlungen und bestehende Register (mit Ausnahme der Separatregister!) neu ordnete und einband. Dabei löste er manchmal sogar Überschneidungen auf oder ließ gebundene Abschriftensammlungen kopieren, um die Abschriften in einem Band vereinen zu können. Auf diese Weise schuf er zum Beispiel ein Register, in dem anscheinend alle geheimen Resolutionen aus den Jahren 1634-1646 in korrekter chronologischer Reihenfolge verzeichnet sind, ungeachtet der Tatsache, ob sie von der Vollversammlung oder einem Ausschuß getroffen wurden. Seitdem war an der Ordnung der Resolutionen aus den vierziger Jahren kaum mehr der hektische Beschlußfindungsprozeß abzulesen, der Anlaß zu diesen Resolutionen gewesen war.
Schließlich wurden die von de Heijde angelegten Serien normaler und geheimer Resolutionen, die fünf münsterschen Protokollbände und das münstersche Gesandtschaftsprotokoll von ihm indiziert und erstere auch gebunden. [29] Eine neue Struktur war geschaffen und fixiert worden.
Umzug, Sammlungsbildung und mißglückte Rekonstruktion
Dieser Umzug war der Vorbote einer viel einschneidenderen Veränderung. In den Jahren nach 1806 wurde das Archiv der Generalstaaten aus der Kanzlei, einem Hort symbolträchtiger Rechtsschriften und Belege, ausgelagert und in ein Archivdepot, einen Aufbewahrungsort historischer Schriftquellen, gebracht. Aufgrund dieser Kontextveränderung wurden die münsterschen Schriftstücke nun als historische Schriftquellen verstanden und der literaturhistorischen Untersuchung der Archivare des 19. Jahrhunderts unterworfen. Sie wurden dazu bestimmt, von jedermann zu Rate gezogen werden zu können.
Das aber war nie die Intention gewesen. Urkunden waren die Verkörperung der Rechte, die in ihnen festgeschrieben worden waren. Nicht Einsichtnahme, sondern die Wahrung der Rechte war der Sinn ihres Erhalts. Die Verträge und Ratifikationen des Friedens von Münster waren, gemeinsam mit der Kassette und dem Geheimaktenschrank, die säkularen Reliquien des Staates, die Vergegenwärtigung seiner fundamentalen Rechte, die Symbole eines staatsrechtlichen Meilensteins. Originale waren nicht dazu bestimmt, eingesehen zu werden; wer etwas über den Inhalt der Dokumente erfahren wollte, mußte sich mit Abschriften oder Registern begnügen. Darum hatten die Hochmögenden Herren 1653 und 1670 beschlossen, von den wichtigsten Originalverträgen und anderen Schriftstücken von Bedeutung aus dem Geheimaktenschrank beglaubigte Abschriften anfertigen zu lassen. [30]
Die Deponierung der münsterschen Schriftstücke in einem historischen Archiv brachte einen neuen Kontext und dadurch eine neue Bedeutung mit sich. [31] Sie wurden nun lediglich als Träger historischer Informationen genutzt, interpretiert, präsentiert und bewahrt, und nicht als Symbole, Objekte von geschichtlicher Bedeutung oder Kunstgegenstände. So waren die Kisten und Schränke, in denen die geschriebenen Dokumente bewahrt wurden, zu überflüssiger Verpackung degradiert worden, da sie selber nicht beschrieben waren und somit von den Archivaren nicht gelesen werden konnten.
Nach dem Umzug des Archivs verschwand zum Teil auch dessen ursprüngliche Struktur, und die münsterschen Schriftstücke verloren ihren originalen Bezugsrahmen. Die Friedensverträge und ihre Ratifikationsurkunden blieben im Geheimaktenschrank, die anderen Schriftstücke jedoch wurden mit ähnlichen Dokumenten aus anderen Archiven zu einer Sammlung "Auslandsangelegenheiten" vereint.
In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts startete der Reichsarchivar van Riemsdijk eine beeindruckende Initiative mit dem Ziel, die Archive zu rekonstruieren. Der Mangel an Zeit, Geld und Personal verhinderte aber die Vollendung seines Vorhabens. Als diese Rekonstruktion des Archivs der Generalstaaten in der ersten Hälfte der sechziger Jahre dieses Jahrhunderts zu Ende gebracht wurde, war mit dem Spezialwissen auch der Respekt vor dem schwer Faßbaren aus dem Rijksarchief verschwunden. Alle Exemplare der münsterschen Protokolle und die separaten Protokollbände, die man noch im Gebäude finden konnte, wurden in das Archiv aufgenommen. Das Vorhaben, die allgemeine und die geheime Registratur zu integrieren, indem man die Schriftstücke ungeachtet ihrer Herkunft chronologisch ordnete und hintereinander plazierte, wurde nicht mehr ausgeführt.
Bedeutungswandel aufgrund konservatorischer Maßnahmen
Bilder und Objekte: Ruhestörung und Bedeutungswandel [32]
Und der gußeiserne Schrank beweist das Gegenteil von dem, was er wahrscheinlich hätte beweisen sollen. Man vergleiche ihn einmal mit dem Aufwand, mit dem die Amerikaner ihre Unabhängigkeitserklärung im National Archive in Washington ausgestellt haben. Täglich laufen Hunderte von Menschen entlang einer Reihe spezieller Sicherheitsvitrinen, in denen die Seiten ausgestellt werden. Beim Frieden von Münster hingegen werden keine "Topfgucker" zugelassen: Die Urkunden werden im Algemeen Rijksarchief hinten im Depot auf der vierten Etage versteckt.
Der Frieden von Münster ist für die Niederlande und die Niederländer ein Symbol. Aber wofür genau? Die münsterschen Schriftstücke im Archiv der Generalstaaten sind ein zeitgenössisches Abbild, ein Sinnbild der Taten, Verhandlungen und Rituale, die von den Deputierten in der Generalversammlung durchgeführt oder veranlaßt wurden. Sie waren die Autoren und taten alles dafür, ihr Werk für die Ewigkeit zu bewahren. Sie haben ihm von Kanzleileitern und Sekretären ihre Stempel aufdrücken lassen, indem den Akten eine feste Struktur gegeben und sie in einen bestimmten materiellen Kontext plaziert wurden. Und dennoch ist der sinnbildliche Gehalt verwischt worden und hat seine traten andere Inhalte und anderer Bedeutungen an seinen Platz.
Es ist schwierig, zu ergründen, wo die Bedeutung des Friedens von Münster liegt, und wo sie einmal lag. Auf jeden Fall hat sich seine Bedeutung stetig verändert. Als das Algemeen Rijksarchief 1981 innerhalb Den Haags aus dem Depot vom Bleyenburg in das neue Gebäude am Prins Willem Alexanderhof umgezogen ist (eine Entfernung von nicht mehr als einem Kilometer), war ich derjenige, der den Umzug des Friedensvertrags übernehmen durfte, einfach so, unter dem Arm. Eine Aktenmappe diente als Schutz, falls es zu regnen beginnen sollte. Ich ging die Bleyenburg hinunter, bog nach links in den Fluwelen Burgwal ein, überquerte die Stationsplein und lieferte Mappe samt Inhalt ohne großes Aufheben an der neuen Adresse ab. Es war ein befremdliches Gefühl als ich mich plötzlich daran erinnerte, was mein Lehrer mir ungefähr fünfzehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Geschichtsunterricht der Grundschule eingebleut hatte: "1648. Frieden von Münster: wir werden frei."
ANMERKUNGEN | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|