IX. DAS HEILIGE RÖMISCHE REICH DEUTSCHER NATION
Maximilian II. und Rudolf II. sicherten zwar die Handlungsfähigkeit des Reiches im gemeinsamen Kampf gegen die Osmanen Im Innern konnten sie jedoch nicht verhindern, daß nacheinander all jene Reichsinstitutionen lahmgelegt wurden, die für den gewaltlosen Konfliktaustrag zwischen den Reichsständen unentbehrlich waren. Ab 1588 konnte der Reichstagsausschuß, der für die Visitation des Reichskammergerichts zuständig war, nicht mehr tagen. Seit den 1590er Jahren wurde die Rechtsprechung des Reichskammergerichts gelähmt. Im Jahre 1600 zerbrach der Hauptausschuß des Reiches, die Reichsdeputation, als die Protestanten die Sitzung verließen und die katholischen Mitglieder sich ohne einen neuen Termin vertagten. 1608 wurde schließlich sogar der Reichstag, das wichtigste Organ der Reichsverfassung, gesprengt, weil die kurpfälzische Delegation und ihre Parteigänger aus diesem Gremium auszogen.
Ohne die mäßigende Kraft der Reichsinstitutionen drohte jeder Konflikt im Reich außer Kontrolle zu geraten. Im Kölner Krieg hatte die katholische Seite den Kurfürsten Gebhardt Truchseß von Waldburg, der eine Protestantisierung des Erzstifts am Rhein versucht hatte, 1583 mit spanischer Hilfe abgesetzt und Ernst von Bayern zur Nachfolge verholfen. Die Reichsstadt Aachen wurde 1598 (und noch einmal 1614) durch spanische Truppen gezwungen, auf das Reformationsrecht zu verzichten und das katholische Bekenntnis als das allein verbindliche anzuerkennen. Die mehrheitlich lutherische Reichsstadt Donauwörth wurde nach handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen der Bürgerschaft und der kleinen katholischen Gemeinde geächtet und 1607 im Zuge einer Militärexekution durch den Herzog von Bayern ihrer Reichsfreiheit beraubt und rekatholisiert. Aus Angst um ihre künftige politische Selbständigkeit in Zeiten eines Vormarschs der katholischen Seite schlossen sich einige protestantische Reichsstände 1608 unter Führung des Kurfürsten Friedrich IV. von der Pfalz zur "Union", einem Verteidigungsbündnis, zusammen. Mehrere katholische Fürsten gründeten ein Jahr später unter Führung des Herzogs Maximilian von Bayern die "Liga", da auch sie sich militärisch bedroht fühlten.
1609 starb Herzog Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg ohne leibliche Erben, und es war zu entscheiden, wer die Herrschaft in den großen, strategisch wichtigen Niederrheinterritorien antreten sollte. Frankreich, Spanien, die Niederlande standen zur Intervention bereit, da verhinderte die Ermordung König Heinrichs IV. von Frankreich in letzter Minute den Ausbruch eines europäischen Kriegs. Die Länder wurden schließlich zwischen den Erbanwärtern Kurbrandenburg und Pfalz-Neuburg geteilt, womit zugleich das Gleichgewicht zwischen katholischer und reformierter Aktionspartei gewahrt blieb. Doch das Reich verharrte weiterhin in angespannter Erwartung, bis 1618 in Böhmen dann der Funke endgültig übersprang und Europa in einem Dreißigjährigen Krieg versank.
J. A.